Das Ehepaar Regina und Heinz Miels und Herr Abdul Kadir Akel engagieren sich seit Jahrzehnten ehrenamtlich für ihre Mitmenschen. Demnächst werden sie mit der goldenen Ehrennadel des Paritätischen Wohlfahrtsverbands ausgezeichnet. Ich hatte das Vergnügen, sie porträtieren zu dürfen.
Das Ehepaar Miels lebt am nördlichen Stadtrand von Berlin in Buch, einem Ortsteil von Pankow. Man kann sagen: seit immer schon. Und ähnlich lange setzen sie sich gemeinsam für ihre Nachbarschaft ein. Sie organisieren Gemeindefeste, unterstützen besonders ältere und behinderte Menschen und engagieren sich auf so vielfältige Weise in einer so großen Anzahl von Organisationen und Einrichtungen, dass ich gar nicht erst mit einer Aufzählung anfangen möchte. Ich besuchte sie für eine Stunde mit meiner Kamera in ihrem Haus mit Garten.
Für Porträtfotografie (so sehe ich das wenigstens und ich glaube, die meisten würden mir zustimmen) ist es wichtig, eine lockere Atmosphäre aufzubauen; mit den Menschen, die man fotografiert, ins Gespräch zu kommen, mit ihnen zu lachen und authentische Reaktionen aus ihnen herauszukitzeln (im übertragenen Sinn natürlich). Damit sie sich mir öffnen, bin ich selbst so offen, wie ich kann. Und trotzdem muss ich in einem gewissen, nicht übertriebenen oder auffallend aufgesetzten, Maß den Profifotografen geben, der genau weiß, was er tut und auch einmal Anweisungen gibt. Was diese Bilder angeht, sind sie meinen Fähigkeiten ausgeliefert und sie sollen sich sicher fühlen. Und dabei selbstverständlich so sein, als wenn ich als Fotograf gar nicht da wäre. Während ich alles das bin und nicht bin und lache und rede und zwischendurch freundlich bestimme, wie sie sich bitteschön setzen, stellen, legen sollen, mache ich auch noch Fotos. Und dabei naturgemäß viel mehr falsch, als wenn ich etwas fotografiere, was keine simultanen kommunikativen Fähigkeiten erfordert. Aber falls ich gerade die letzten hundert Bilder vergeigt haben sollte, lasse ich es mir besser nicht anmerken. So in etwa läuft das mit der Porträtfotografie. Und es macht Spaß. Manchmal kann es übrigens fast zu einfach sein. Zum Beispiel beim Ehepaar Miels.
Die Stimmung war von Anfang an gut. Ich hatte mir vorgestellt, die beiden hauptsächlich gemeinsam zu zeigen, obwohl der Verband auch zusätzlich noch Einzel-Porträts haben möchte. Mein Vorschlag, sie zusammen zu fotografieren, stößt auf Gegenliebe. Die Bilder im Garten, im Schatten eines der beiden größeren Bäume zu machen, bietet sich an. Dass sie dabei nicht die ganze Zeit stehen sollten, versteht sich von selbst. Auf der Terrasse der Miels sehe ich nur einzelne Gartenstühle; bevor ich fragen kann, sagt Frau Miels, dass sie noch eine alte Holzbank im Schuppen haben. Perfekt. Eine der größten Schwierigkeiten bei diesem Shooting ist es, Frau Miels oder ihren Mann daran zu hindern, die Bank selbst zu tragen. Die zweite Schwierigkeit sind Frau Miels Brillen. Sie trägt eine mit dunklen und ersetzt sie durch eine mit helleren Gläsern. Auf dem Foto sind sie plötzlich wieder dunkel. Je nach Umgebungslicht hellen sie sich auf oder verdunkeln sich. Ich bin begeistert von den heutigen technischen Möglichkeiten. Frau Miels hat noch Lesebrillen, bei denen das nicht passiert. Kann sie dadurch einigermaßen gucken? Okay, dann schummeln wir und nehmen eine Lesebrille. Wo sind jetzt die ganzen anderen Brillen geblieben? Mist, da ist noch eine auf dem Foto! Das Ehepaar Miels kann miteinander vor der Kamera agieren, hat Freude daran und ist mir gegenüber sehr locker. Einige der Fotos geraten geradezu albern. Ich finde das gut und die Miels erschrecken auch nicht, als ich ihnen zwischendurch testweise ein sehr ulkig geratenes auf dem Display der Kamera zeige.
Frau Miels erzählt einiges über ihre ehrenamtlichen Tätigkeiten. Unter anderem begleitet sie Sterbende. Sie berichtet traurig über erwachsene Kinder, die ihre sterbende Mutter alleine lassen, weil die Kinder es nicht ertragen oder weil die Mutter sie nicht heranlässt, weil sie meint, sie ertrügen es nicht. Sie wird wütend über Zustände in Krankenhäusern, wo Sterbende in Abstellkammern gestellt und allein gelassen werden. Es erscheint mir verdammt wichtig, dass eine warme und lebendige Person wie sie in solchen und ähnlichen Fällen da ist.
Abdul Kadir Akel fotografiere ich an seiner Arbeitsstelle in Berlin-Neukölln. Herr Akel arbeitet hier als Familienhelfer. Er ist Kurde und kam nach dem Militärputsch 1981 als politischer Flüchtling aus der Türkei nach Deutschland. Er kam allein und ließ Eltern, Verwandte und Freunde zurück. 2006 konnte er das erste Mal nach 25 Jahren wieder einen Fuß auf türkischen Boden setzen. Herr Akel lernte in Deutschland seine Frau kennen und hat zwei fast erwachsene Kinder. Nach seiner Flucht engagierte er sich sofort ehrenamtlich im Kurdistan Kultur- und Hilfsverein, der auch eine Art Familie für ihn geworden ist. Mit Festen und Veranstaltungen das kurdische kulturelle Leben zu fördern, ist ihm besonders wichtig. Er leistet aber auch Jugendarbeit, berät bei Familienkonflikten, unterstützt Menschen bei der Arbeitssuche oder in Asylverfahren.
Herr Akel hat ein sehr lebendiges Gesicht und ein gewinnendes Lächeln, wenn er mit mir spricht. Ist die Kamera auf ihn gerichtet, wirkt er reserviert. Ich versuche, gewissermaßen die Momente zwischen den Fotos zu treffen und schaffe es leider nicht ganz überzeugend, gleichzeitig zu fotografieren und mich zu unterhalten. In den ebenerdigen Räumen ist sehr wenig Licht. Fensterlicht gibt es ohne größere Umräumarbeiten oder störende Hintergründe eigentlich nur von hinten; von seitlich vorne helle ich mit einem Reflektor ein bisschen auf. Ich trinke von dem Tee, den mir Herr Akel gemacht hat, rede, höre und fotografiere. Ich habe am Ende das Gefühl, dass gerade unter den Bildern auf dem Sofa vorm Fenster, einige dabei sind, die die Persönlichkeit von Herrn Akel gelungen widerspiegeln.